Kabinettstückchen im Buchstabensalon – Mainz liest ein Buch: Neringa oder die andere Art der Heimkehr von Stefan Mosters

Donnerstag, 22.09.2022, 19:00 Uhr im ZMO Buchstabensalon

Es ist ein besonderer Moment: Viele Leser*innen lesen dasselbe Buch, hier Stefan Mosters „Neringa oder die andere Art der Heinkehr“.

Moster betreibt Spurensuche in seiner Heimatstadt Mainz, lokale und persönliche; er verknüpft Familiengeschichte und Stadtgeschichte. Und das führe zu Standortbestimmung, zu historischer Neubewertung und persönlichem Neubeginn.

Der ZMO Buchstabensalon ergänzt seine Reihe „Kabinettstückchen im Buchstabensalon“ mit dem Angebot zu einer Diskussion über dieses Buch, ergänzt durch eine Ausstellung mit Büchern zur Mainzer Stadtgeschichte.

Wir freuen uns auf Sie!

Nachlese – „Mainz liest“ im ZMO Mainz e.V.

ZMO Mainz | 26.09.2022

Wohl die kleinste Veranstaltung in der Lesereihe  „Mainz liest ein Buch“ fand am 22.9. im ZMO Buchstabensalon in Mainz Bretzenheim statt. Es hatten sich gerade mal 12 Personen eingefunden, darunter Herr Schröder vom Verein Mainz liest. Wir hatten Urlaubs – und krankheitsbedingt zu spät Reklame für unsere Veranstaltung gemacht. Die Thematik dieses Buches liegt uns jedoch sehr am Herzen. Allerdings ist der ZMO Buchstabensalon auch nicht für ein großes Publikum gedacht und sein gemütliches Ambiente schafft sofort eine Wohlfühlatmosphäre. Und so war es auch an diesem Abend.

Nach einer  Einführung in die Arbeit und das Anliegen des Vereins „Mainz liest“ durch Herrn Schröder zeigte die anschließende Diskussion  sehr schnell, dass wir hier richtig lagen; das Buch „Neringa“ von Stefan Moster trifft die Problemkreise, mit denen sich der ZMO seit Jahrzehnten beschäftigt. Der ZMO versteht sich als Integrationsverein; in ihm begegnen sich Menschen unterschiedlichster Herkünfte und Lebenswege. Und so sind Standortbestimmung, die Auseinandersetzung mit verlorener bzw. neu zu findender Heimat, die Beschäftigung mit Wurzeln und Vorfahren, die Frage nach echten Lebenswerten, die Suche nach Authentizität Dauerthemen. Sie bearbeitet der ZMO auf unterschiedlichste Weise. Und dass von diesen Problemkreisen fast jeder betroffen ist und zwar quer durch die Generationen, das  zeigte die lebhafte Diskussion deutlich.

Mosters Buch sprach jeden Teilnehmer  an, jeder verstand den Protagonisten. Und sowohl die Themenwahl als auch die textliche Darstellung empfanden die Teilnehmer uneingeschränkt als positiv. Hier ist nichts aufgesetzt. Die  Darstellung der psychologischen Sitzungen hätte man sich allerdings verkürzter denken mögen. Umso einhelliger  bestätigten alle Teilnehmer den metaphorischen und symbolischen Wert des sich durch das ganze Buch ziehenden Pflastermotivs. Ganz unabhängig davon , ob hier nachgewiesen ist, dass Jakob Flieder, Großvater des Protagonisten, nun wirklich alle angeführten Straßen und Plätze in Mainz gepflastert hat, wird sein Beharren auf Genauigkeit seiner Arbeit, auf Selbstbestimmung in seiner Arbeit und die Verteidigung seines Berufsstolzes, auch noch in den unmöglichsten Lebenslagen und durch die unterschiedlichsten Zeitläufte, für seinen Enkel maßgebend. Dieser, auf der Suche nach Halt, Sinn und Würde in seinem Leben, entdeckt den Großvater als Vorbild. Einig war man sich auch darin, dass dieser Werte-Pool von der zweiten Entdeckung des Ich- Erzählers, der seiner litauischen Putzfrau Neringa, fortgeführt wird. Beide, der Großvater Jakob und die absolut authentische Neringa, führen den Erzähler in Frieden zu seiner Heimat zurück.

Die zweite Ebene des Buches, hier vertreten durch den anderen Großvater, der sich von seiner nazistischen Vergangenheit nicht lösen konnte, wurde zwar an diesem Abend angesprochen, es blieb aber keine Zeit mehr, hierauf einzugehen. Den Diskussionsteilnehmern war es vielmehr sehr wichtig, jeweils Parallelen aus ihrem eigenen Leben zu diesem Buch darzustellen. Dazu gehörte auch eine ältere Dame, die berichtete, dass ein Großteil ihrer Familie, Inhaberin eines Schreibwarengeschäftes in Höhe der Peterskirche, und viele Mitarbeiter  bei dem Brand des Holzpflasters der großen Bleiche ums Leben kamen.

Auch für die anderen Teilnehmer an der Lesung galt der von Alain de Botton in seinem Text – Liebe, Lesen und Veränderung – zitierte Satz von Proust „In Wirklichkeit ist jeder Leser, wenn er liest, ein Leser nur seiner selbst“. Diese Möglichkeit  bot Mosters Buch auch der kleinen Lesergruppe im ZMO und ganz offensichtlich ebenso sehr vielen Mainzer Bürgern. Mehr Bezug kann man von einem Buch nicht verlangen. Der ZMO wird an einer weiteren Lesereihe gerne wieder teilnehmen. Wir bedanken uns für die Arbeit des Vereins „Mainz liest“.

Jutta Hager

Mainz, den 25.9.2022

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